Umsatzsteuer

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Jutta Knell, Leiterin Zoll-, Außenwirtschafts- und Umsatzsteuerrecht

Welche Folgen hat das EuGH-Urteil zur eingeschränkten Steuerfreiheit von Transporten ins Drittland für deutsche Speditionshäuser?

Erst zum 1. Januar 2022 hat das Bundesfinanzministerium das EuGH-Urteil C-288/16 zur eingeschränkten Steuerfreiheit grenzüberschreitender Transporte aus dem Jahr 2017 umgesetzt. Worum ging es im EuGH-Verfahren?

Der EuGH hatte zu entscheiden, ob Transporte in Drittstaaten, d.h. in Länder außerhalb der EU, generell umsatzsteuerfrei abgerechnet werden können - so die bis dahin gängige Praxis - oder nur noch dann, wenn sie „in unmittelbarem Zusammenhang mit Gegenständen der Ausfuhr“ stehen. Es ging im Grunde also nur um eine Interpretation des im europäischen Umsatzsteuerrecht vorgeschriebenen Unmittelbarkeitszusammenhangs. Der EuGH hat im Jahr 2017 überraschend restriktiv entschieden. Danach besteht ein Unmittelbarkeitszusammenhang nur dann, wenn ein Transport unmittelbar für einen Versender, also den Verkäufer einer Exportware, ausgeführt wird. Voraussetzung ist also eine direkte Rechtsbeziehung zwischen Exporteur und Spediteur, beispielsweise geregelt in einem Frachtvertrag. Beauftragt ein Spediteur als Hauptfrachtführer einen Subunternehmer (Unterfrachtführer) mit der Durchführung eines Transports, ist diese Beförderungsleistung laut EuGH umsatzsteuerpflichtig, da sie für den Spediteur durchgeführt wird und nur mittelbar für den Versender.

Das Urteil bezieht sich auf „Haupt- und Unterfrachtführerkonstellationen“. Welche Unternehmen in der Logistikkette sind konkret betroffen?

Hierzu hat die EU-Kommission dem europäischen Speditionsdachverband CLECAT auf Anfrage mitgeteilt, dass das EuGH-Urteil C-288/16 weit auszulegen und insofern auf alle Verkehrsträger anzuwenden ist. Damit gelten auch Airlines und Reedereien umsatzsteuerrechtlich als Unterfrachtführer, wenn sie von einem Speditionshaus mit der Durchführung von Drittlandtransporten beauftragt werden. Entsprechendes gilt für Dienstleistungen von Umschlag- und Lagerbetrieben sowie Zollagenten, wenn sie sich auf Exportware beziehen. Diese Unternehmen haben ihre Rechnung bislang stets steuerfrei ausgestellt - und dies geschieht auch vielfach weiterhin so. Die Umsetzung des Urteils setzt gleichen Informationsstand bei den Akteuren voraus. Es gibt immer noch erheblichen Abstimmungs- und Aufklärungsbedarf zwischen Speditionen und ihren Unterfrachtführern.

Welche finanziellen Auswirkungen hat die Umsetzung des Urteils auf Unternehmen, die im Drittlandgeschäft tätig sind?

Das Abrechnungsverhältnis einer Spedition mit dem auftraggebenden Exporteur (Versender) bleibt vom EuGH-Urteil unberührt. Ein im Exportgeschäft mit Drittstaaten tätiges deutsches Speditionshaus kann somit seine Dienstleistung weiterhin umsatzsteuerfrei in Rechnung stellen. Beauftragt ein deutscher Spediteur einen deutschen Unterfrachtführer mit der Durchführung von Drittlandtransporten, ist dessen Vergütung jetzt umsatzsteuerpflichtig. Für die – bislang steuer-befreite – Transportdienstleitung muss das Speditionshaus seit Jahresbeginn zusätzlich 19 Prozent Umsatzsteuer an den Unterfrachtführer zahlen. Zwar ist der Betrag im Rahmen des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens abzugsfähig – allerdings mit erheblichem zeitlichem Verzug, wodurch ein nennenswerter Liquiditätsabfluss für die Spedition entstehen kann.
Anders verhält es sich, wenn der Spediteur einen Unterfrachtführer aus einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Drittland einsetzt. Dann erhält er eine Rechnung ohne Steuer im sogenannten Reverse-Charge-Verfahren, d. h. die Steuerschuldnerschaft geht auf ihn als Leistungsempfänger über. Der Spediteur muss den Umsatz in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung melden und kann die Steuer sofort verrechnen. Erste Speditionshäuser haben bereits erklärt, zum Schutz ihres Cashflows keine deutschen Frachtführer mehr einzusetzen zu wollen, sofern es die logistischen Abläufe zulassen. Eine weitere Schwächung des Logistikstandorts Deutschland.

Wurde das EuGH-Urteil in allen EU-Mitgliedstaaten einheitlich umgesetzt?

Nein. Etwa die Hälfte der EU-Staaten hat das Urteil in ihr nationales Recht implementiert, oder ist noch dabei. Andere Mitgliedstaaten wie Frankreich und die Niederlande haben noch gar nicht begonnen. Von einer einheitlichen Umsetzung kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil jedes Land das Urteil anders interpretiert – beginnend mit der Frage, ob es sich nur auf die Ausfuhr oder auch den Import bezieht, bis hin zu nationalen Alleingängen wie beispielsweise in Deutschland, wo ein Belegnachweis gefordert wird, dass es sich bei dem Auftraggeber tatsächlich um den Versender handelt. Wie groß die Verunsicherung auch bei den nationalen Verwaltungen ist, zeigt die Zeitspanne zwischen Urteilsverkündung im Juni 2017 und jetziger Umsetzung sowie die mangelnde Kommunikation mit der Wirtschaft. Ein Großteil der Anfragen an das Bundesfinanzministerium blieb bis heute unbeantwortet.

Mit welchen Maßnahmen kann Wettbewerbsgleichheit in der EU erreicht werden und der Cashflow geschützt werden?

Urteile des Europäischen Gerichtshofs müssen natürlich in allen EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden, jedoch bleiben Regelungsdetails den Staaten überlassen, so die Antwort der EU-Kommission an CLECAT. Gleichwohl hat der DSLV das Bundesfinanzministerium aufgefordert, sich für eine einheitliche Rechtsanwendung in der EU einzusetzen. Auch wenn sich die EuGH-Rechtsprechung nicht von Cashflow-Aspekten beeinflussen lässt, würde eine harmonisierte Umsetzung für angeglichene Wettbewerbsbedingungen in der EU sorgen. Zur Vermeidung von steuerlichen Flickenteppichen muss im Übrigen das Mehrwertsteuerrecht dringend als Ganzes harmonisiert werden. Doch anstatt sich endgültig auf ein gemeinsames EU-Umsatzsteuersystem zu verständigen, hangeln sich die Mitgliedstaaten seit Jahren von einer Übergangsmaßnahme zur nächsten.

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