Aus- und Weiterbildung

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Tatjana Kronenbürger, Leiterin Qualifikation und Berufliche Bildung

Hat die duale Ausbildung in der Logistik Zukunftsaussichten?

Das Ausbildungsjahr 2022/2023 hat gerade begonnen. Wie sieht die Situation in der Speditions- und Logistikbranche aus?

Nach den Hochphasen der Corona-Pandemie ist wieder ein Aufwärtstrend beim Ausbildungsplatzangebot in der Logistikbranche zu beobachten. Die im DSLV organisierten Speditionshäuser halten an der dualen Berufsausbildung fest und bilden nach wie vor in den kaufmännischen und gewerblichen Berufen aus. Bundesweit haben sich in diesem Jahr knapp 4.500 Nachwuchskräfte für eine Ausbildung zur/zum Kauffrau/Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistung – unserem Flaggschiff unter den klassischen Ausbildungsberufen – entschieden. Bei der Besetzung von Ausbildungsstellen zeichnet sich allerdings ein heterogenes Bild. Während viele Unternehmen ihre ausgeschriebenen Stellen – wenn auch mit deutlich höherem Aufwand – besetzen konnten, hatten es einige Häuser trotz aller Anstrengungen erheblich schwerer, überhaupt Auszubildende zu finden. Dies hat vielfach regionale Ursachen, denn die Schülerdichte ist in Deutschland sehr unterschiedlich. Insbesondere bei den gewerblichen Ausbildungsberufen sieht es nicht rosig aus – vor allem die Lücke der zu besetzenden Ausbildungsplätze für Berufskraftfahrer wächst kontinuierlich. Unsere Mitgliedsunternehmen zeigen sich aber verhalten optimistisch, dass sie in den kommenden Wochen noch weitere Nachwuchskräfte werden rekrutieren können.

Wie kommt es zu dieser Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt?

Die Gründe sind vielschichtig. Insbesondere die demografische Entwicklung arbeitet besonders hart gegen den Logistiksektor, der ja eine Wachstumsbranche ist. Daneben reißt die Präferenz von Schulabgängern für ein Hochschulstudium, das nach wie vor klischeehaft mit einem höheren gesellschaftlichen Ansehen, einer angemesseneren Vergütung und besseren Aufstiegschancen in Verbindung gebracht wird, nicht ab. Dies verschärft den Wettbewerb um junge Talente nicht nur innerhalb der Speditionsbranche, sondern auch zwischen den Branchen. Oftmals liegt dies an Unkenntnis bei Schulabgängern und ihren Eltern über die Vorzüge der dualen Ausbildung mit ihrem Mix aus betrieblich-praktischer und theoretischer Ausbildung, über Fortbildungsmöglichkeiten und an einer unbegründeten Sorge um eine zu kurze Karriereleiter. Gerade in gut strukturierten Logistikhäusern wird jungen Speditionskaufleuten aber sehr früh fachliche und personelle Verantwortung übertragen – nicht selten mit internationalem Bezug und der Aussicht auf Weiterbildung und gehaltlichen Entwicklungen.

Welchen Wert hat das deutsche duale Ausbildungssystem?

Markt- und damit zukunftsfähig werden im Logistiksektor nur solche Unternehmen sein, die auf einen qualifizierten und motivierten Mitarbeiterstamm aufbauen können. Die Verknüpfung von Erwerb theoretischen Wissens in der Berufsschule und Arbeiten im Unternehmen ist das Erfolgskonzept des Systems und fördert früh die Identifikation der Auszubildenden mit dem Berufsbild und mit dem Ausbildungsbetrieb – mithin eine echte win-win Situation.
Dem dualen Ausbildungssystem entspringen hervorragend qualifizierte Fachkräfte mit unternehmensspezifischen Kenntnissen. Deren Einsatzmöglichkeiten in den Fachabteilungen der Speditionshäuser sind bereits direkt nach der Ausbildung vielfach höher als die der akademisch qualifizierten Bewerber. Das duale System ist eine nicht zu unterschätzende Säule der Standortsicherung und damit unserer Volkswirtschaft.

Sind Hochschulabsolventen in der Logistik denn nicht gefragt?

Doch natürlich. Speditionen prägen eine moderne und innovative Dienstleistungsbranche mit großen beruflichen Entwicklungsperspektiven für sämtliche Qualifikationsstufen. Mehr als 600.000 Menschen sind derzeit in deutschen Speditionshäusern beschäftigt. Speditionen rekrutieren Hochschulabsolventen verschiedenster Disziplinen. Denn angesichts zunehmend strategischer, rechtlicher und technischer Fragen braucht die Branche auch die akademische Perspektive zur Lösung logistischer Probleme. Aber mit einer ausschließlich durchakademisierten Belegschaft können operative Herausforderungen des Tagesgeschäfts – dies gilt für den kaufmännischen wie für den gewerblichen Bereich – nicht gelöst werden. Nicht nur Hochschulabsolventen entwickeln Steuerungsmodule komplexer Logistiksysteme für die Beschaffungs- und Absatzwege von Industrie und Handel. Ausgebildete Speditionskaufleute organisieren internationale und regionale Lieferketten. Weitere logistische Qualifikationen sind auf die tägliche Disposition riesiger Güterströme einschließlich der Dokumentenabwicklung mit dem Zoll, mit Banken und Versicherungen ausgerichtet. Und schließlich sind u. a. Fachkräfte für Lagerlogistik und Berufskraftfahrerinnen und -fahrer für die Abwicklung des physischen Warenflusses in Logistikzentren und Terminals, beim Umschlag und schließlich beim Transport verantwortlich. Eine duale Ausbildung ist eine hervorragende Basis und auch nicht das Ende der Fahnenstange. Durch logistiknahe Weiterbildungen oder ein aufbauendes Studium bestehen ausgezeichnete Chancen, in anspruchsvolle Fach- und Führungspositionen aufzusteigen. Ein Hochschulstudium ist keine zwingende Voraussetzung für eine Karriere in der Logistik!

Wie kann das Interesse an einem klassischen Ausbildungsberuf in der Logistik wieder geweckt werden?

Das Problem ist nicht allein auf unsere Branche begrenzt. Gegen den demografischen Wandel helfen mittelfristig keine Initiativen und Kampagnen. Die Wirtschaft baut deshalb auf politisch zu entscheidende Migrationserleichterungen und auf den Abbau von Integrationshemmnissen. Dem könnte z. B. mit einer Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen innerhalb des Berufskraftfahrerqualifikationsrechts zumindest etwas entgegengewirkt werden, beispielsweise indem das Wohnsitzprinzip aufgehoben wird oder Qualifikationen aus Drittstaaten endlich anerkannt werden. Für eine langfristige Erholung des Ausbildungsmarktes müssen die Vorzüge der beruflichen Bildung in der öffentlichen Wahrnehmung wieder auf Augenhöhe mit der akademischen Bildung stehen. Dies beginnt bei der Berufsorientierung in den Schulen und der Aufklärung über die Perspektiven und Vorteile einer dualen Berufsausbildung und endet auch nicht mit einer verbesserten finanziellen Ausstattung der Berufsschulen. Auch die Unternehmen sind äußerts kreativ. Beispielsweise wirken Azubis höherer Jahrgänge mit Unterstützung ihrer Ausbildungsbetriebe als Influencer und bewerben auf YouTube, Instagram, TikTok & Co. die verschiedenen Ausbildungsberufe der Logistik, stellen ihre individuellen Motive für ihre Berufswahl dar und beschreiben was in der Branche abläuft. Dadurch steigt nicht nur die Glaubwürdigkeit, sondern auch die Sichtbarkeit des Ausbildungsbetriebs – und zwar exponentiell. Die vom DSLV unterstützte Nachwuchsgewinnungskampagne MOVE – Du bewegst was ist ein Beispiel. Selbstverständlich engagieren sich Unternehmen auch weiterhin in Schulen, um bei Schulabgängern der nächsten Generation für eine Ausbildung in der Logistik zu werben. Auch Praktika vor dem endgültigen Einstieg ins Unternehmen erweisen sich zunehmend als sinnvolles Instrument, um Bewerbern und Unternehmen Gelegenheit zu geben, sich kennenzulernen.

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