Speditions- und Transportrecht

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Havarie der Ever Given

Haftung des Fixkostenspediteurs für Verspätungsschäden auf der Seereise nach deutschem Recht

Der DSLV informiert über die Haftung des Fixkostenspediteurs für Verzögerungsschäden auf der Seestrecke nach deutschem Recht. Die Verschuldensfrage ist noch nicht geklärt. Die Haftung des Spediteurs für Verzugsschäden ist gemäß Ziff. 23.4 ADSp 2017 auf sechs Sonderziehungsrechte je Kilogramm begrenzt.

Anlässlich der Havarie der Ever Given und der damit verbundenen Verzögerung ihrer Seereise stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Verfrachter und Fixkostenspediteure nach deutschem Recht für Verspätungsschäden haften.

Die Ever Given hatte sich im Suez-Kanal festgefahren, und war nach sechs Tagen aus ihrer Lage befreit worden. Anschließend war eine Weiterfahrt aufgrund einer durch die ägyptische Kanalbehörde veranlasste Arrestierung unmöglich. Eine Fortsetzung der Reise erfolgte erst, nachdem sich die Kanalbehörde mit der Reederei und deren Versicherer auf eine Entschädigungssumme für die Kanalblockade geeinigt hatte.

Die Geltung deutschen Rechts vorausgesetzt, beurteilt sich die Haftung des Verfrachters und des Fixkostenspediteurs für Verzögerungsschäden mangels entsprechender Regelungen im deutschen Seefrachtrecht nach den allgemeinen schuldrechtlichen Vorschriften, §§ 280 Absatz 2, 286 BGB. Eine Haftung des Fixkostenspediteurs für auf der Seestrecke entstandene Verzögerungsschäden erfordert daher dessen schuldhafte Nichtleistung trotz einer nach Fälligkeit der Leistung ausgesprochenen Mahnung.

Fälligkeit und Mahnung

Ist zwischen den Vertragsparteien eine feste Lieferzeit nicht verbindlich festgelegt, sondern beispielsweise lediglich eine ungefähre Ankunftszeit („estimated time of arrival“ - ETA) genannt, ist in der Regel eine verzugsbegründende Mahnung Voraussetzung für einen Anspruch auf Verzugsschadensersatz. Das bedeutet, dass sich der Fixkostenspediteur erst dann in Verzug befindet, wenn er von seinem Auftraggeber nach Eintritt der Fälligkeit der Leistung gemahnt wird. Mahnung bedeutet, dass der Schuldner ausdrücklich und bestimmt zur Leistung innerhalb einer bestimmten Frist aufgefordert wird. Problematisch kann im Einzelfall sein, ob bzw. wann die Leistung, also die Ablieferung der Ware, „fällig“ ist. Eine ETA stellt nach der aktuellen Rechtsprechung keine konkrete und verbindliche Leistungszeit dar. Allerdings wird die Angabe der geschätzten Ankunftszeit als „indiziell“ für die Frage herangezogen, welche Transportdauer noch „angemessen“ ist und ab wann bei Nennung einer ETA die Ablieferung fällig ist. Dabei kommt es in der Regel auf die Relation von Überschreitung der ETA zur veranschlagten Reisedauer an. In einem vom Landgericht Hamburg entschiedenen Fall wurde eine erhebliche Verzögerung und damit eine Fälligkeit der Ablieferung bejaht, als zum Zeitpunkt der Mahnung der geschätzte Ankunftstag (ETA) bei einer geschätzten Gesamttransportdauer von unter 17 Tagen bereits mehr als 6 Wochen zurücklag. In einem anderen Fall bejahte das Hanseatische Oberlandesgericht die Fälligkeit des Ablieferungsanspruchs bei einer Reisedauer von einem Monat 13 Tage nach der ETA.

Ist hingegen nicht lediglich eine geschätzte Ablieferungszeit vereinbart, sondern ein fixer Ablieferungstermin, ist eine Mahnung des Schuldners in der Regel entbehrlich, der Verzug tritt auch ohne ausdrückliche Mahnung ein, wenn die Güter nicht zum vereinbarten Termin abgeliefert wurden.

Verschulden

Grundsätzlich trägt der auf Zahlung des Schadensersatzes in Anspruch genommene Fixkostenspediteur die Darlegungs- und Beweislast für ein fehlendes Verschulden. Gelingt ihm diese Entlastung nicht, wird sein Verschulden vermutet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Fixkostenspediteure das Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen (zum Beispiel der von ihm beauftragten Reederei) gemäß § 278 BGB zurechnen lassen müssen.

Entscheidend für die Frage, ob Fixkostenspediteure im Zusammenhang mit der Havarie der Ever Given nach deutschem Recht gegenüber ihren Auftraggebern zur Zahlung von Verzugsschadensersatz verpflichtet sind, ist somit, ob ihrerseits ein Verschulden zu bejahen ist. Die Ursache für die zunächst eingetretene Verzögerung von sechs Tagen (Zeitraum zwischen Festfahren im Suez-Kanal und Freilegung durch die Rettungskräfte) ist nach derzeitigem Erkenntnisstand noch unklar. Sollte beispielsweise ein Konstruktionsfehler die Manövrierfähigkeit der Ever Given beeinträchtigt haben, müsste es sich der Fixkostenspediteur entgegenhalten lassen, wenn die Seeuntüchtigkeit schuldhaft nicht erkannt worden sein sollte.

War Ursache für die Havarie hingegen ein Verhalten der Schiffsbesatzung bei der Führung oder der sonstigen Bedienung des Schiffes (nautisches Verschulden), könnte eine Haftung des Fixkostenspediteurs durch die Einbeziehung einer entsprechenden Haftungsregelung in den zugrunde liegenden Verkehrsvertrag ausscheiden. Sollten die ADSp 2017 wirksam in den Vertrag einbezogen worden sein, so ergibt sich eine Haftungsfreiheit des Fixkostenspediteurs für nautisches Verschulden aus Ziffer 25.1 ADSp 2017.

Nachdem die Ever Given nach sechs Tagen wieder in der Lage war, ihre Fahrt fortzusetzen, wurde sie von den ägyptischen Behörden arrestiert. Eine Freigabe des Frachters wurde erst im Falle einer Einigung über die seitens der ägyptischen Kanalbehörden erhobenen Schadensersatzforderungen von ca. 900 Mio US-Dollar in Aussicht gestellt. Ein Großteil der entstandenen Verzögerung entstand also nicht durch das Festfahren, unerheblich ob dies durch ein nautisches Verschulden, Konstruktionsmängel oder sonstige Ursachen hervorgerufen wurde, sondern aufgrund der mehrere Wochen andauernden Verhandlungen der Reederei und ihres Versicherers mit den ägyptischen Behörden. Die Antwort auf die Frage, ob sich die Reederei hierbei den Anforderungen an einen ordentlichen Verfrachter entsprechend verhielt oder aber schneller den Forderungen hätte nachgeben müssen, um den Arrest frühzeitig zu beenden, ist derzeit völlig offen. Aktuell ist daher ungeklärt, ob ein dem Fixkostenspediteur zurechenbares Verschulden der Reederei im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Freigabe der Ever Given durch die ägyptischen Behörden gegeben ist.

Für Fixkostenspediteure, deren Güter nicht von der Ever Given transportiert wurden, die mithin aufgrund des entstandenen Rückstaus und einer damit verbundenen Verzögerung in Anspruch genommen werden ergibt sich aus dem Vorgenannten, dass sie allenfalls dann ein Verschulden an der Verzögerung treffen dürfte, wenn der von ihnen mit dem Transport beauftragte Verfrachter den Stau umfahren und die Verzögerung somit hätte verhindern können. Dies dürfte aufgrund der geographischen Lage allerdings nahezu ausgeschlossen sein.

Mitverschulden aufgrund allgemeiner Verzögerungen im Seeverkehr

Unabhängig vom Schadenfall der Ever Given sind seit einiger Zeit erhebliche Verspätungen im Container-Linienverkehr festzustellen. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob Auftraggebern grundsätzlich ein anspruchsminderndes Mitverschulden vorgeworfen werden kann, wenn diese von der derzeitigen Verspätungsproblematik im Seeverkehr gewusst haben. Angesichts der von der Rechtsprechung bereits entschiedenen Fällen, in denen ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Absenders in solchen Fällen bejaht wurde, in denen er von einer unzureichenden Betriebsorganisation des Auftragnehmers wusste oder hätte wissen müssen, stellt sich die Frage, ob diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auch für Fälle der Lieferfristüberschreitung herangezogen werden können. Dies würde bedeuten, dass dem Auftraggeber dann ein Mitverschuldensvorwurf gemacht werden könnte, wenn dieser wusste, dass eine vereinbarte Lieferfrist objektiv nicht einzuhalten ist.

Der DSLV Bundesverband Spedition und Logistik e. V. empfiehlt Fixkostenspediteuren grundsätzlich, seine Kunden möglichst konkret darauf hinzuweisen, wenn Verzögerungen einer geplanten Seereise aufgrund von beispielsweise Kapazitätsengpässen, Blockaden von Seehäfen oder -wegen, Terror oder COVID-19 zu erwarten und einzukalkulieren sind.

Haftungsbegrenzung gemäß Ziff. 23.4 ADSp 2017

Sollte eine Haftung des Fixkostenspediteurs für Verspätungsschäden nach allgemeinen zivil-rechtlichen Grundsätzen bestehen, ist diese grundsätzlich unbegrenzt. Sind allerdings die ADSp 2017 wirksam in den Verkehrsvertrag einbezogen worden, ist die Haftung gemäß Ziff. 23.4 ADSp 2017 auf das Dreifache des Betrags begrenzt, der im Falle des Güterverlustes zu zahlen wäre, also auf sechs Sonderziehungsrechte je Kilogramm.

Kontakt

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DSLV

Björn Karaus

Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt)
Leiter Justiziariat I Speditions- und Transportrecht, Versicherung
DSLV Bundesverband Spedition und Logistik e. V.
Friedrichstraße 155-156 | Unter den Linden 24
10117 Berlin